Körperpflege und Hygiene

im 18. Jahrhundert

 

Eines der beliebtesten Klischees über das 18. Jahrhundert ist, daß die Menschen sich nicht wuschen, sondern Dreck und Gestank lieber mit Schminke und Parfüm überdeckten. Das heißt, eigentlich wird das von so ziemlich allen Epochen zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert behauptet. Auch hier gilt das, was an anderer Stelle schon zum Thema Frisuren gesagt wurde: Es ist nicht alles ganz abwegig, aber gar so schlimm, wie uns manche Geschichtslehrer weismachen wollen, ist es auch nicht.

Jede vergangene Zeit ist ebensosehr eine fremde Kultur wie die eines fernen Landes. Ebensowenig, wie man den Pygmäen unsere Vorstellungen von anständiger Kleidung überstülpen darf, darf man einfach unsere heutigen Vorstellungen von Hygiene dem 18. Jahrhundert überstülpen. Hygiene war damals durchaus wichtig – aber sie sah anders aus.

Baden

Führen wir uns einmal vor Augen, was Baden bedeutete: Man brauchte ein Gefäß für das Badewasser. Ein ziemlich großes Gefäß, das bei damaligen Wohnverhältnissen ebenso im Weg gewesen wäre wie heute in Stadtwohnungen - nur daß damals 50 m² für eine sechs- bis zehnköpfige Familie reichen mußten und womöglich auch noch für das Vieh. Als Material waren Holz und Kupfer terchnisch möglich. Beide waren in der Herstellung ähnlich teuer (in Relation zum Einkommen) wie es Gefäße dieser Größe und aus diesen Materialien heute wären. Dazu kommt die Füllung: Eine heutige Badewanne faßt etwa 150-200 Liter Wasser. Geben wir uns für damalige Zeiten mit 100L zufrieden. Für eine Badetemperatur von ca. 30° (also gerade mal lauwarm) waren also etwa 35 Liter kochendes Wasser nötig. Das Wasser mußte über einem Holzfeuer erhitzt werden. Wenige Haushalte dürften Kessel mit mehr als 10, vielleicht 15L Fassungsvermögen gehabt haben, und wenn doch - wer hätte dieses Gewicht heben können? Also mußte das Badewasser nach und nach erhitzt werden, in Portionen à 10-15 Liter, und während die zweite Portion auf dem Feuer stand, kühlte die erste Portion in der Wanne aus. Im Endeffekt mußte man wohl 50 L Wasser oder mehr erhitzen. Zudem muß alles Wasser vom Brunnen geholt werden (und hochgepumpt oder mit dem Eimer hochgezogen), das kalte wie das zu erhitzende, also die ganzen 100 Liter. Wer trägt das alles, wer hackt das Holz dafür?

Aus diesen Überlegungen sollte klar werden, daß Baden mit großem Aufwand verbunden war - an Platz, Arbeit, Zeit und Heizkosten -, so daß sich nur wenige ein regelmäßiges Bad im eigenen Heim hätten leisten können. Es war daher sinnvoll, öffentliche Bäder aufzusuchen, wie es schon im alten Rom üblich war und in Japan zum Teil noch heute praktiziert wird. Daß wir heute glücklicher dran sind, berechtigt uns nicht, verächtlich auf frühere Zeiten herabzuschauen.

Georges Vigarello (siehe Fußnoten) hat einige Originaltexte vom Mittelalter bis zur Neuzeit zusammengetragen, die belegen, daß Baden und Waschen mit Wasser im Mittelalter noch recht üblich waren, im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts aber allmählich diskreditiert wurden. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe, z.B. daß das Baden überhaupt, vor allem aber öffentliche Badeanstalten, im Mittelalter vor allem dem Vergnügen dienten und eine mehr oder minder laszive Komponente hatten. Manche Badehäuser hatten sogar Separées, in die Pärchen sich zurückziehen konnten.¹ Der Übergang zwischen Badehaus und Puff ist fließend, die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten entsprechend hoch. Zu allem Überfluß breitete sich um 1500 herum eine scheinbar neue Krankheit aus, die vielleicht aus Amerkika stammte: Syphilis. Daß daran nicht das Wasser schuld war, sondern der Sex, konnte man nicht ahnen, da man nur sehr vage, von Aberglauben gefärbte Vorstellungen von Ansteckungswegen hatte.

Ein weitaus einleuchtenderer Grund aber besteht in der damals herrschenden Vorstellung, daß Wasser in der Lage sei, durch die Poren in den Körper einzudringen, ihn durch und durch aufzuweichen und ihn somit allen möglichen, im Wasser und in der Luft lauernden Gefahren gegenüber wehrlos zu machen². In einer Zeit wiederkehrender Pestepidemien erschien dies als äußerst bedrohlich. Entgegen gängiger Vorstellungen war die Pest nicht auf das Mittelalter beschränkt (man denkt da meist an die Epidemie von 1349/50), sondern flammte vor allem im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder auf – eben in jener Zeit, als das Waschen mit Wasser zunehmend als schädlich betrachtet wurde.

Das heißt aber nicht, daß die Menschen von Sauberkeit nichts mehr hielten. Sie mußten nur Möglichkeiten finden, ohne Wasser oder zumindest ohne Eintauchen in selbiges sauber zu werden. Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts wandelte sich deshalb der Sauberkeitsbegriff: Man rieb sich das Gesicht und z.T. den Körper mit sauberen, parfümierten Tüchern ab, wechselte häufiger die Wäsche und puderte die Haare mit parfümierten Pudern. Hatte man im Mittelalter das Hemd einmal im Monat gewechselt, so wechselte man es im späten 17. Jh. zweimal die Woche. Weiße Wäsche und Wohlgeruch, ordentliche und der Mode entsprechende Kleidung wurden mit Sauberkeit gleichgesetzt³. Woran sonst konnte man auch Sauberkeit festmachen? Woran könnten wir heutige, wenn wir mal ehrlich sind, erkennen, ob jemand sauber oder schmutzig ist, wenn nicht am Geruch und dem Zustand seiner Kleidung? Vom Körper sah man nur Gesicht und Hände, dazu einen Teil der Wäsche. Übler Geruch galt als unsauber und schädlich, aber wenn man ihn nicht roch – weil er mit Parfüm überdeckt war – , dann galt er als neutralisiert (denkt noch jemand an Deo?). Für die Zeit von Louis XIV dürften also einige der Geschichten, die uns heute so unglaublich vorkommen, wahr sein. Das gemeine Volk, das sich nicht genug Wäsche leisten konnte, um sie täglich zu wechseln, dürfte tatsächlich ziemlich gestunken haben. Wir dürfen aber auch nicht unterschätzen, daß selbst trockene Abreibungen, Katzenwäsche4; und frische Wäsche ein gewisses Maß an Sauberkeit gewährleisten.

Bathseba, 1457 Dürer, um 1500 Rubens, frühes 17. Jh. Artemisia Gentileschi, um 1650

 

Als ich nach Abbildungen von Badeszenen suchte, um diese Seite zu beleben, stolperte ich über das Thema der "Bathseba im Bad", das offebar v.a. vom Mittelalter bis ins 17. Jh. des öfteren gemalt wurde. Es fiel sofort auf, daß spätmittelalterliche Darstellungen Bathseba in einem Holzzuber sitzend zeigen, während man auf Abbildungen des 16. und 17. Jh. nur Bathsebas sieht, die neben einem Springbrunnen sitzen, neben einer großen Metallschüssel, oder von einer Dienerin die Beine mit einem Tuch abgerieben bekommen. Eine völlig ins Wasser getauchte Bathseba konnten sich Künstler des 17. Jh. offenbar nicht vorstellen – was die Ausführungen oben zu bestätigen scheint. Wobei man aber auch nicht übersehen darf, daß Renaissance und Barock das Thema gern zum Vorwand nahmen, um nacktes Fleisch darstellen zu dürfen, was in einem Zuber nicht gar so leicht möglich ist – aber, wie Dürer (Bild oben) vorführt, auch nicht unmöglich.

Da oft zwischen Barock (also frühes 17. bis frühes 18. Jh.) und dem 18. Jahrhundert kein Unterschied gemacht wird, werden die oben geschilderten Verhältnisse häufig auch für das ganze 18. Jahrhundert behauptet. Tatsächlich aber wandelt sich ab ca. 1720/30 der Sauberkeitsbegriff ein weiteres Mal: Wasser gilt nun nicht mehr als nur schädlich; die Bathsebas sitzen nun neben Teichen oder großen Becken. Vollbäder werden zur Entspannung, für die Schönheitspflege und zu medizinischen Zwecken genommen; gewisse Körperregionen werden wieder mit Wasser gewaschen 5:

"Die Pflege der vornehmen Körperteile ist eine unumgängliche Notwendigkeit. Man muß sie jeden Tag waschen und dem zu diesem Zweck bestimmten Wasser alle Arten von aromatischen Pflanzen oder alkoholhaltigen Flüssigkeiten beimengen." (Le médecin des dames, 1772) 6

Dies gilt zunächst vor allem für den Adel und – etwas später – für das wohlhabende Bürgertum, wie einge von Vigarello zitierte Nachlaßinventare zeigen: Bidets, kupferne oder marmorne Badewannen, Nachtstühle und Wasserklosetts finden sich vor allem im Besitz des Adels7. Andererseits darf man, anders als Vigarello es tut, aus dem Mangel solcher Utensilien in bürgerlichen Nachlässen nicht schließen, daß der gemeine Bürger sich nicht wusch. Man hatte bloß nicht genug Platz im Haus für all diese Dinge, nicht genug Geld für eine Wasserleitung vom Brunnen ins Haus, oder nicht genug Personal (siehe Ausführungen zum Personal- und Sachaufwand weiter oben).

Wer sich das nicht leisten konnte, wusch sich wahrscheinlich mit Hilfe eines Waschlappens und eben jener Gefäße, die sonst zum Wäschewaschen und Geschirrspülen dienten. Solche großen Keramik-, Zinn- und Kupferschüsseln oder Holzgelten tauchten in Nachlaßinventaren dann eher nicht als Waschschüsseln auf, dürften den Gemeinen aber durchaus zum Waschen gedient haben.

Im letzten Viertel des 18. Jh. wandelt sich der Sauberkeitsbegriff dahingehend, daß man fließendem Wasser nahezu alles Gute zutraut. In den 1780en mehren sich die Stimmen derer, die glauben, daß man die Straßen von Paris nur täglich mit Wasser durchspülen müsse, um Krankheiten in den Griff zu bekommen. (Interessanterweise werden die Straßen von Paris auch heute noch gereinigt, indem Wasser durch die Gossen geleitet wird.) Gleichzeitig erhalten immer mehr Häuser reicher Bürger und Adliger direkte Wasserzuleitungen, die privates Baden ermöglichen.

 

Aborte

Natürlich gehört auch das Klo zum Thema Hygiene. Es ist nicht wahr, daß man in Versailles gewohnheitsmäßig hinter die bodenlangen Vorhänge pinkelte und kackte, wie es meine Geschichtslehrerin erzählte. Wenn es heißt, daß die Wege im Park von Versailles verkotet waren, heißt das auch nicht unbedingt, daß sie voller Fäkalien waren: Der Ausdruck "Kot" bezeichnete damals jede Art feuchten Drecks, also auch Matsch. Im 19. Jh. tat man sich viel darauf zugute, ach so viel besser zu sein als das Ancien Régime, und strich diese Überlegenheit gern heraus, indem man überlieferte Anekdoten übertrieb, verallgemeinerte, kreativ mißverstand und vielleicht sogar Märchen erfand. Es wird überliefert, daß während höfischer Zeremonien Louis XIV niemand fortgehen durfte, auch nicht aufs Klo, weshalb manche Höflinge an Ort und Stelle laufen lassen mußten8. Aber auch wenn das wahr ist, heißt das noch lange nicht, daß so etwas eine alltägliche Gewohnheit war, sonst hätte es auf Versailles keine (met verlöff, met verlöff) Kackstühle gegeben, von denen Liselotte von der Pfalz erzählt (die als Schwägerin von Louis XIV im Schloß von Versailles wohnte):

"Ich weiß ein Galand, welchen ich aber nicht nennen will noch darf, welcher als mit seiner maitresse auf'n kackstuhl geht und wann eins von ihnen seine sachen verricht hat, dann setzt sich das andere drauf, und entretenieren einander auf diese weise." (An Herzogin Sophie am 24. Juli 1678)

In den Schlössern des 18. Jh. gibt es nicht nur Kack- oder Nachtstühle, sondern zuweilen auch Erker, in denen man sich auf ein Brett mit Loch darin setzt. Die Fäkalien fielen dann vermutlich auf eine Art Misthaufen, der auch die Abfälle und Abwässer der Küche aufnahm, wie z.B. in dem Jagdschloß, das kürzlich im Freilichtmuseum in Bad Windsheim wiederaufgebaut wurde. Im gleichen Museum finden sich auch ein Häcklerhaus9 und eine Mühle, beide aus dem 18. Jh. und früher, mit angeschlossenem Abort in Form einer Bretterbude, sowie zwei Höfe, bei denen die Bretterbude über den Misthaufen ragend gebaut ist. Ein Klo war also, zumindest auf dem Land, durchaus kein Luxus und selbst das "niedere Volk" zog es vor, Exkremente außerhalb des Wohnhauses abzuladen. Warum also sollte es ausgerechnet der Hochadel anders halten?

 

Olfaktorisches

Selbst wenn man akzteptiert, daß Hygiene damals anders betrachtet wurde als heute, bleibt die Frage: Wie hielten es die Menschen damals aus, daß sie selbst, ihre Mitmenschen und deren Exkremente die Luft verpesteten?

Wer einmal unter damaligen Bedingungen gewirtschaftet hat, z.B. in einem Freilichtmuseum, ahnt einen Teil der Antwort: Der Holzrauch der Küche zieht durchs ganze Haus und durchdringt die Kleidung und Hautporen jedes Bewohners. Mit der Zeit stumpft die Nase ab und nimmt den Holzrauch-Geruch nicht mehr wahr, und das dürfte auch für andere Gerüche gelten. In einem Dorf rauchen viele Schlote, deren Holzrauch auch außerhalb des Hauses vieles überdeckt. Obendrein hielten viele Angehörige der Unter- und Mittelschicht Vieh, das z.T. im Wohngebäude untergebracht war (auch das wird oft in Freilichtmuseen deutlich). Der Geruch des Viehs und seiner Exkremente überdeckt, im Verein mit dem Holzrauch, jeglichen menschlichen Eigengeruch.

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Quellen:
Vigarello, Georges. Wasser und Seife, Puder und Parfüm: Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter. Frankfurt/M.: Campus, 1992
1) S. 38-46; 2) S. 17ff; 3) S. 73ff; 5) S. 115ff; 5) S. 132; 6) S.130f, 135f
Zimmermann, P. Die junge Haushälterinn. Luzern: J.M. Anich, 1807 (Erstauflage 1787)
Casanova, Giacomo. Erinnerungen.
Bräuning-Oktavio, Hermann (Hrsg.). Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans, gen. Liselotte. Altenburg, o.J. (Mit den Worten "met Verlöff, met Verlöff" pflegte Liselotte Deftigkeiten einzuleiten.)
4) Gelten nicht Katzen als sauber, obwohl sie nie baden?
8) Ich weiß nicht mehr, wo ich diese Geschichte gefunden habe, und kann daher nicht nachprüfen, ob nicht auch das ein Märchen ist. Interessant ist aber, daß ähnliches von den Predigten eines Pariser Priesters des 17. Jh. berichtet wird (Jacob Blume. Von Donnerbalken und innerer Einkehr. Göttingen: Werkstatt, 2002) Solche Ähnlichkeiten lassen schnell den Verdacht auf Legende aufkommen.
9) Häckler oder Heckler waren Kleinbauern, die gerade so viel Land besaßen, wie sie mit der Hacke bearbeiten konnten. Sie hatten oft einen Weinausschank als Nebenerwerb.

Siehe auch:
"Stimmt's?"