Das Gruselkabinett, 19. Jahrhundert

 

Unter dem Motto "ein Bild sagt mehr als tausend Worte" habe ich im Gruselkabinett des 18. Jh. Bilder vorgestellt, die illustrieren, was man alles so falsch machen kann, daß das Ergebnis nicht mehr historisch aussieht. Kürzlich habe ich mich über eine Historienverfilmung mal wieder so geärgert, daß ich so eine Sammlung auch fürs 19. Jh. anlegen mußte.

In der rechten Spalte habe ich versucht, jeweils an einem echt zeitgenössischen Gegenbeispiel zu zeigen, wie es richtig wäre.

Carl & Bertha, SWR, 2011

Der Film handelt von der Lebensgeschichte von Carl Benz, dem Erfinder des Automobils, und seiner Frau Bertha, der ersten Autofahrerin aller Zeiten. (Nein, sie war nicht die erste weibliche Autofahrerin aller Zeiten, sondern die erste Person, die jemals außerhalb eines Versuchsgeländes Auto fuhr. D. h. der erste Autofahrer der Geschichte war eine Autofahrerin.)

Diese Szene dürfte in den sehr frühen 1870ern spielen, nämlich vor Berthas Hochzeit mit Carl Benz.

In diesem Bild sieht man am Knick/Faltenwurf unter der Brust sehr gut, daß Bertha kein Korsett trägt, was im späten 19. Jh. völlig unmöglich war. Die halblangen Ärmel (mit Abschlüssen, die sehr entfernt ans 18. Jh. erinnern) und der tiefe, wenn auch schmale Ausschnitt wären in der hochgeschlossenen Gründerzeit nur für Diners passend gewesen (d.h. am Abend), aber sicher nicht für einen Nachmittagsspaziergang im Park, wie in dieser Szene. Eine Kopfbedeckung trägt sie skandalöserweise auch nicht.

Rechts: Promenadenkleid, zwar mit ähnlichem Revers, aber - Achtung! - durch einen Einsatz mit Stehkragen doch wieder hochgeschlossen. Die "Tütenärmel" sind entfernt ähnlich, reichen aber bis zum Handgelenk und die "Tüten" sind nicht angesetzt, sondern der Ärmel verbreitert sich einfach. Alle Figuren in dem Modekupfer, aus dem dieser Ausschnitt stammt, tragen hochgeschlossene Kleider und (!) Hüte.

Bertha heiratete Carl Benz 1872.

Eine Braut hätte im späten 19. Jh. niemals in einem ärmellosen Kleid mit Ausschnitt geheiratet: Ärmellos und weiter Ausschnitt war Ballkleidern vorbehalten und damit reine Abendkleidung. Geheiratet wurde (und wird in dieser Szene) aber tagsüber. Brautkleider waren daher ebenso hochgeschlossen und langärmelig wie Tageskleider.

Rechts: Braut der frühen 1870er. Langärmelig und hochgeschlossen, wie auch noch in den 1880ern.

Immer noch Hochzeit, 1872.

Anstatt richiger Tournüren, die hinten ordentlich ausstellen, tragen die Damen offenbar Röcke mit nichts darunter und nur ein paar eher traurig herabhängenden Puffs obendrauf. Das hellgrüne Kleid der rechten Dame des linken Bildes ähnelt in vielerlei Hinsicht dem im Bild rechts, und gerade dadurch werden die Unterschiede besonders deutlich: Ein Reißverschluß im Rücken, wo überhaupt kein Verschluß hingehört (wie schon im 18. Jh. fragt man sich, was an einem Verschluß vorn bitteschön so unwahrscheinlich ist), ein ähnlicher Puff über dem Hintern, der aber nicht absteht, sondern fast bis in die Kniekehlen einfällt und irgendwie ausgestopft aussieht.

Bei der Männerkleidung kenne ich mich nicht so aus, aber von einem Bräutigam hätte ich zu so einem festlichen Anlaß einen Frack erwartet, mindestens aber einen schwarzen Gehrock, wie ihn der rechte Herr trägt, und nicht so einen lässigen, braunen Alltagsanzug wie hier. Und Handschuhe! Die trug der Herr auch im Sommer. Undenkbar, einer Dame seine blanken, schwitzigen Pfoten zu reichen. Man ist schjon fast dankbar, daß sie wenigstens Hüte tragen... im Gegensatz zu den Damen.

Wir sehen hier eine Dienstmagd, die das Gepäck der Frau Benz auslädt.
Wenn wir mal so tun, als sei der Rückenverschluß an diesem Kleid kein Reißverschluß (aber was sollte es sonst sein?): Wie kann ein Dienstmädchen, das nun mal selber keine Zofe hat, einen Rückenverschluß - egal ob geschnürt, geknöpft, gehakt, oder Reißverschluß - selber zumachen? Dienstpersonal kann einen Rückenverschluß jedweder Art schwerlich brauchen.

Vor meinen Ohren tönt das alte Lied: Was ist an einem Verschluß vorne so unwahrscheinlich, daß nahezu alle Frauenklamotten in egal welchem Film Rücken-Reißverschlüsse haben?

Das Modekupfer rechts möge als eines von vielen, vielen Beispielen dafür dienen, daß im späten 19. Jh. ein Knopf- oder Hakenschluß vorn durchaus schon erfunden war. Rückenschnürungen kamen fast nur bei Ballroben vor - und die wurden nicht unter Übertritten verborgen. Schon gar nicht unter solchen, die so schmal sind. Schnürungen sind unter 3 cm Gesamtbreite kaum zu machen.

 

Sissi-Reihe, Ernst Marischka, 1955ff

Es gibt vieles, was man bei "der" Sissi-Reihe kritisieren kann, aber drei Dinge stechen deutlich hervor.

Nummer eins ist das Fehlen von Korsetts. Das heißt, um genau zu sein: Die Frauen tragen ganz offensichtlich etwas halbwegs versteifendes unter den Kleidern, denn ohne würden sich selbst bei schlanken Gestalten Querfalten zeigen. Offenbar handelt es sich dabei um Korseletts, wie sie in den 50ern üblich waren: Auf sehr feste Weise elastisch und mit Atombusen-Körbchen, die man auf diesem Bild sehr gut sieht.

Es wäre für die Kostümbildner ein Leichtes gewesen, diesen Umstand durch Berthen zu verdecken, die zu dieser Zeit (die Szene spielt unmittelbar vor der Hochzeit, 1854) absolut üblich waren - siehe Bild rechts.

In den Sissi-Filmen trägt keine einzige Frau ein zeitgenössisches Korsett.

Nummer zwei ist der beherzte Griff in die Krinoline.

Die Krinolinenzeit ist nicht meine Spezialität und ich habe keine Benimmbücher aus dieser Zeit gelesen, aber es widerstrebt meinem Stilgefühl, zu glauben, daß eine Dame (und wer, wenn nicht eine Kaiserin und ihre Hofdamen, könnte mit Fug und Recht als solche bezeichnet werden?) eine Hand um einen Krinolinenreifen krallt, wann immer sie sich vorwärts bewegt - selbst wenn die Untergrund so eben ist wie das Parkett der Wiener Hofburg.

Es wirkt irgendie bäurisch. Als ob die Damen es nicht gewohnt wären, Krinolinen zu tragen...

 

Nummer drei: Auch eine Kaiserin, kaiserliche Hofdame oder sonstige Adlige läuft nicht den ganzen Tag in Abendkleidung herum. Außer in den Sissi-Filmen.

Das viktorianische Zeitalter war ein prüdes. Teile des Oberkörpers oberhalb des Busens, inklusive Schultern, nackig zu machen, war nur unter ganz bestimmten Umständen erlaubt: In jeweils fein abgestuften Maßen zum Diner, in der Oper, zu Abendgesellschaften oder Bällen (in aufsteigender Reihenfolge der Entbößung). Aber ganz bestimmt nicht am hellichten Tag im Garten oder am Strand von Korfu.

Tageskleider sind hochgeschlossen und langärmelig, egal zu welcher Jahreszeit (das Bild rechts ist von Juli 1859).

 

Fackeln im Sturm, 1985

Spielt ein wenig später als Sissi, wurde 30 Jahre später gedreht, aber die Problemzonen sind die gleichen: Korsett, was ist das? Wenn sich einmal eine auszieht, was gar nicht so selten ist, dann kommt darunter meist nur ein Hemd zum Vorschein. Ein Viertelbrustkorsett (das erste, das ich je sah - ich kannte bisher nur Unter-, Halb- oder Vollbrust) mit fein kaschiertem BH, wie im 2. Bild von links, ist schon das höchste der Gefühle. Bloß gab es damals keine Viertelbrustkorsetts und auch keine BHs.

Und auch keinen jäh vervorkragenden Busen.

Zwar ist das Themas Korsett schon abgehandelt, aber dieser Fummel mit im 140°-Winkel auswärts strebenden Spitz-Zitzen war einfach zu schrecklich, um ihn zu unterschlagen. Heilige Sch...!  
Das gleiche Kleid wie oben. Das ist doch nicht etwa ein...? Neeeein, das ist natürlich eine Schnürung! Eine 0,7 Zentimeter breite Schnürung. Ja nee, is' klar.  

Woran denken wir, wenn wir an die Mode der 80er Jahre denken? Nein, ich meine nicht Neon und Netzhemden. Einen Tip: Es fängt mit Sch an und endet auf ulterpolster.

Der Kerl ist ungefähr einen halben Meter breiter als in Natura. Der Rest ist Schweigen.

Wie schon bei Sissi läuft das Weibsvolk nicht nur ohne Korsett rum, sondern ganztägig in Abendkleidung. In diesem besonderen Fall ist es eine von ihrem Ehgespons eifersüchtig überwachte, unterdrückte Frau - und ausgerechnet die erscheint halbnackt auf einer nachmittäglichen Gartenparty?

Obendrein mit einem Hut, den ich in dieser Größe eher mit der Titanic-Zeit assoziiere, und auch da wurden die Hüte nicht von ihrem eigenen Gewicht niedergedrückt.

Das Adlon, ZDF, 2012

Was hat denn diese Serie hier zu suchen? Die spielt doch erst 1904ff? Um ehrlich zu sein: Ich wollte nicht extra noch ein Gruselkabinett fürs 20. Jh. anlegen. Außerdem spielt die Serie in mehreren Epochen gleichzeitig, u.a. im 19. Jh. Glaubst Du nicht? Sieh selbst! (halbwegs in der Reihenfolge des Films, hoffe ich)

Definitiv nach 1914 (erstes Patent für einen Reißverschluß), wahrscheinlich nach 1930 (Reißverschluß wird gebräuchlich).  

1912

Damals ging das Adlon bekanntlich mit der Titanic unter.

(Im Film wird gerade Willem Zwo mit Hofdamen durch die Räume geführt, das war laut Wikipedia am 24.10.1904. Aber Wikipedia muß man bekanntlich mit Vorsicht genießen.)

1785
1972  
Auf dem Speicher meiner Mutter steht eine Kiste mit Faschingskram, darin liegt genau so ein Hut, nur in Schwarz. Rechts: Faye Dunaway um 1970.

1890s meets 1970s.

Ich geb's ja zu: Im Original stehen die beiden nebeneinander in einem Aufzug. Aufzug, Police Box, Zeitmaschine... ist doch egal!

 
1897
... doch 1912?
1598
1894
... bis hierher nur Teil 1, der 1904 bis 1908 spielt. Angeblich.