Mode und Klima



In den meisten vergangenen Epochen trugen die Leute viel mehr und wärmeres Textil auf dem Leib als heute, z.B. eine Schicht Leinen und 2-3 Schichten Wolle, auch im Hochsommer. Wie hielten sie das bloß aus?

Ein Teil der Antwort ist: Klimawandel. Ich rede jetzt nicht von globaler Erwärmung, Klimakatastrophe etc. Klimaschwankungen gab es schon immer; selbst die Eiszeiten waren nicht immer gleich kalt. Außer den Großen Eiszeiten, die zehntausende von Jahren dauerten, gab es Kleine Eiszeiten, die nur wenig kälter waren als "normal" und nur ein oder mehrere Jahrhunderte dauerten, und sogar Mini-Eiszeiten.

Die letzte Mini-Eiszeit war in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts: Wenn heute jemand sagt, früher wäre Weihnachten weiß gewesen, dann ist das nicht nur Nostalgie. Die letzte Kleine Eiszeit dauerte ungefähr vom 11. Jh. bis Mitte des 19. Jh. Das heißt, während des größten Teils der dokumentierten Kostümgeschichte herrschte ein relativ kühles Klima. So konnten die Leute mehr Kleidungsschichten vertragen als wir heute gewöhnt sind. Aber das ist nicht alles...

Wenn ich im historischen Gewand unterwegs bin, höre ich oft Kommentare wie: "Ist ihnen denn nicht heiß?" oder andersrum: "Friert es sie denn nicht?"

Meine Antwort lautet meistens "Nein", manchmal auch "Ein bißchen". Im Sommer 2003 mußte ich erstmals die erste der o.g. Fragen mit einem definitiven "Ja" beantworten: Mir war schrecklich heiß. Andererseits war den leicht bekleideten (T-Shirt, Shorts) Fragestellern offenbar ebenso heiß - zumindest lief ihnen die Soße sichtlich ebenso runter wie mir. 35° bringen das so mit sich. Nach meiner Erfahrung ist es relativ egal, ob man (obenrum) Chemise, Korsett und gefütterte Robe trägt oder nur ein T-Shirt: Die gefühlte Hitze ist in etwa gleich; der Unterschied liegt nur darin, wieviel Textil am Abend naß ist. Ein leinenes Hemd hilft viel: Leinen kann mehr Feuchtigkeit aufsaugen als jeder andere Stoff und kühlt folglich durch die Verdunstungskälte umso mehr.

In der Oper pflegte ich nicht mehr als eine Bluse auszuhalten, so heiß war mir, aber als ich mal im vollen 18.-Jh.-Ornat dort war, konnte ich den Fächer dauerhaft verleihen, denn ich brauchte ihn nicht. Und als wir das Opernhaus verließen, brauchte ich den Mantel kaum. Nur das Dekolleté wurde etwas kalt...

Auf intellektueller Ebene wissen viele, daß mehrere Kleidungsschichten nicht nur von Kälte, sondern auch von Hitze isolieren, und denken dabei an die Beduinen und andere Wüstenvölker. Das Gefühl diktiert aber, bei Hitze alles von sich zu werfen. Erfahrung hat mir gezeigt, daß ich im historischen (18. Jh.) Kostüm weniger leicht friere, aber auch weniger Hitze empfinde als in moderner Klamotte. Und das, obwohl bei Kleidung des 18. Jh. die beiden unteren Schichten (Chemise und Korsett) so eng anliegen, daß sie keine isolierende Luftschicht zulassen. Sogar Wolle kann man im Hochsommer durchaus tragen, eben weil sie nicht nur Kälte, sondern auch Hitze fernhält.

Mittlerweile glaube ich, daß es bei Hitze fast egal ist, was und wieviel man trägt: Heiß ist einem sowieso.
Auch Kälte scheint im historischen Kostüm erträglicher zu sein als in moderner Klamotte, aber ab einer gewissen Schwelle hilft nur Wolle, ob als Rock/Jacke oder als Mantel.