Gründerzeit-Ballkleid

Da ich am Tageskleid nichts mehr machen kann, solange die Knöpfe noch nicht da sind, fange ich mal so langsam mit dem Ballkleid an. Am Ballkleid selber kann ich noch nichts machen, weil mir dafür noch der Futter-Chintz fehlt. Der cremefarbene Chintz, den ich für das Tageskleid verwendet hatte, neigt sich stark dem Ende zu und ist als Grundlage für einen leichten Seidentaft auch nicht stabil genug. Zur Erinnerung: Bis ins 20. Jh. hinein war das Futter nicht bloß eine möglichst dünne, glatte Schicht, die verhindern sollte, daß das Obergewand (Blazer, Rock) am Untergewand (Bluse, Strumpfhose) klebt, sondern eine solide, auf Figur geschnittene Basis, auf die ein Oberstoff aufdrapiert wurde.
 
Chintz ist derzeit offenbar scheußlich schwer zu bekommen, jedenfalls habe ich keine Quelle ergoogeln können; die üblichen Online-Stoffläden haben auch nichts. Am Ende habe ich von einer Freundin einen Link bekommen, und selbst dieser Laden hatte nur noch 7m in zwei Stücken übrig und kriegt wohl nichts mehr nach. Immerhin war der Rest schwarz, also genau die Farbe, die für das Ballkleid ideal ist. Und während ich auf den Chintz warte…
 
Mir fiel in den letzten Wochen siedendheiß ein, daß ich dafür ja auch ein neues Hemd und einen Unterrock brauche. Wieso? Weil das Ballkleid stilistisch noch zur Küraßmode gehört, so daß der vorhandene Tournüren-Unterrock hinten zu weit und zu lang wäre. Und weil ein normales Hemd mit normalen Trägern unter dem tiefen, breiten Ausschnitt eines Ballkleides mehr als nur hervorblitzen würde.
 
Außerdem muß noch ein Arschkissen her, denn ein bißchen stellen auch Küraßkleider nach hinten aus. Im Original (ganz aktuell in der Fashioning-Fashion-Ausstellung in Berlin) habe ich da eine Art Hintern-Schürze gesehen, die von oben bis unten mit Volants aus Roßhaar besetzt ist. Einfacher wäre wahrscheinlich ein Kissen, ähnlich wie im 18. Jh., nur länger, breiter und flacher. Einfacher, weil Roßhaar nicht im Laden um die Ecke zu finden ist, und das Ganze dann in Volants zu legen, ist wahrscheinlich auch recht mühsam. Außerdem sitzt es sich darauf besser. 😉 Um den Unterrock anpassen zu können, habe ich erstmal ein flaches Sofakissen an die Schneiderpuppe gepinnt.
 
Für die Wäsche wählte ich einen Ballen feiner alter Baumwolle aus dem Fundus. Als Schnitt nahm ich den gleichen wie für das Tournürenkleid (TV 261), nur daß ich die rechteckige Hinterbahn nicht 120 breit machte, wie für eine Tournüre, sondern die knapp 80 cm, die der Stoff an Breite hat. Auf diese Weise kann ich alle Nähte kappen, indem ich einfach die Webkante auf den Stoff runterklappe und feststeppe, ohne lästiges unter-falten. Außerdem entspricht die Saumweite fast exakt der Länge des Streifens Lochspitze, den ich eigentlich für die Beinabschlüsse einer neuen Unaussprechlichen gedacht hatte. Abnäher absteppen, hinten Falten einlegen, Saum-Boden-Abstand justieren, Lochspitze unten dran und der Unterrock ist, bis auf Bund und Verschluß, praktisch fertig. Die Arbeit von max. zwei Stunden.
 
Dann das Hemd. In meinen Büchern von 1880 bis 1905 war höchstens andeutungsweise etwas über Hemden für unter Ballkleider zu finden. Der Ausschnitt muß logischerweise dem des Ballkleides entsprechen, die Träger weit außen und schmal genug, um unter denen des Kleides zu verschwinden, keine Ärmel. Ich werde den Schnitt wohl selber entwerfen müssen. Und was machen wir, wenn wir die Form kennen, aber keinen Schnitt haben? An der Schneiderpuppe drapieren. Ein bißchen orientiere ich mich dabei an der Laughing-Moon-Wäsche: Eine glatt sitzende, doppellagige Passe obenrum, und um die nötige Weite herzukriegen, wird der Hauptteil eingereiht zwischen die Lagen geschoben. Der halbe Schnitt sieht dann so aus:

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