Damast, Brokat, Calimanco — Wolle statt Seide

Mein neuester Spleen sind Wollstoffe, wie sie im 18. Jahrhundert vor allem in Norwich (UK) und Umgebung hergestellt wurden: Wollstoffe aus Kammgarn (engl. worsted-spun), das von Schafrassen mit besonders langen, aber nicht unbedingt weichen Vliesen stammte. Drei Stoff-Arten habe ich bis jetzt identifizieren können: Calimancos (frz. calamandre), Damast und Brokat. Brokat aus Wolle. Das muß man erstmal sacken lassen.

Linda Baumgarten schreibt in What Clothes Reveal, “Colorful calimancoes that had been glazed mimicked more expensive silks, yet their long-lasting worsted fiber content was appropriate for a workingwoman’s garment.” (s. 114)

Inwieweit Wollbrokate ebenfalls als “Seide der kleinen Frau” dienten, sagt sie nicht. Aber in niederländischen und skandinavischen Museen befinden sich einige Trachtenteile aus Wolldamast, was auf eine große Verbreitung im gemeinen Volk hindeutet.

Übrigens, falls Du Dich wunderst, wie in aller Welt ein Wollstoff, noch dazu aus den groben Wollsorten, mit denen sich spätere Beiträge befassen, Seide nachahmen kann: Farbe und Glanz. Weiter nichts. Wir denken bei Seide gern an fließende, glatte, eben… seidige Stoffe. An Unter- oder Bettwäsche aus Satin zum Beispiel. Bei zeitgenössischen Seiden ging es aber nicht darum, wie die Seide sich anfühlt oder wie sie fällt, sondern um Farbe und Glanz. Nur Wolle und Seide konnten ohne weiteres in buntesten Farben gefärbt werden, und Seide hatte der Wolle den Schimmer voraus. Es sei denn, man kalandert den Wollstoff, dann glänzt der auch.

Nun gut, das mit dem Brokat bzw. Damast muß ich erstmal hintanstellen, bis mein Damastwebstuhl mit 100 Musterschäften fertig ist (har, har). Aber Calimanco schaut machbar aus! (Manche Quellen nennen jeden Kammgarnstoff Calimanco, andere nur bestimmte Sorten. Ich verwende den Begriff ausschließlich für die im Folgenden beschriebenen, bunt gestreiften Stoffe.)

Wie sieht nun so ein Calimanco aus? Glücklicherweise sind die Bilder aus dem Nordiska Museet unter CC-Lizenz, so daß ich hier ein paar zeigen kann, die ich in weiser Voraussicht heruntergeladen hatte. Im Digitaltmuseum kann man sich danach einen Wolf suchen. (Suchtip: tygprovsamling, Anders Berch, ylle)

Was einem sofort ins Auge fällt ist die Buntheit. Ich habe zwar auch einige Stoffproben mit 2 oder 3 Farben gesehen (Nummer 11 und 23), aber die meisten scheinen mehr als 4 Farben zu haben – und dabei sind die Farbabstufungen wie bei Nr. 5 und 7 noch gar nicht mitgezählt. Man sieht sehr viel Rot, Grün, Gelb und Blau, aber wenig gedeckte Töne. Es wäre möglich, daß hier die Vorliebe des Sammlers zugeschlagen hat, der “langweilige” Proben links liegen ließ, aber im V&A findet man unter 2006AM7954 ein weiteres Musterbuch, in dem es ebenso farbenfroh zugeht.

In den folgenden Abschnitten habe ich nachträgliche Korrekturen angebracht. Man erkennt sie an Durchstreichungen und Anmerkungen in eckigen Klammern.

Und wie sind sie gewebt?
Man muß gar nicht sehr nah ranzoomen, um zu sehen, daß die Streifen sehr glatt sind, d.h. man sieht nur eine Fadenrichtung, die andere nicht, und das kann nur Satin bedeuten. [Oder einen Köper mit langer Flottierung und schwachem Grat.] Wenn man gaaanz nah ranzoomt…

…dann kann man am rechten Rand des blauen Streifens sogar fast abzählen, was für ein Satin es ist. Nicht sicher, aber fast. 6-bindig, glaube ich, also 5 überspringend. 4/1-Köper [5-bindiger Atlas] Das andere Fadensystem ist bei diesem wie bei den meisten anderen Proben weiß, seltener eingefärbt, aber immer einfarbig. Damit ist für mich klar, daß es ein Schußatlas ist, einfach, weil so eine bunte Kette aufzuziehen viel mehr Arbeit ist als Schiffchen zu wechseln, und weil das Muster damit bis zum Ende der Kette festgelegt wäre. Bei Schußstreifen kann man 3 Meter für die eine Kundin so weben und 5 Meter für die andere anders. Achtung, Reenactor-Kalauer: Die waren ja nicht blöd damals. Badumm-tsss. [Update: Dieses Projekt hat mal wieder gezeigt, wie daneben dieser Spruch ist.]

Was man in diesem Bild eher ahnt als sieht, ist, daß die Garne einfädig sind – zumindest die Schußgarne, aber bei einigen Damastproben im digitaltmuseum.se kann man beide Richtungen sehen. Zwar hatte ich angedacht, alle Garne selber zu spinnen, aber das würde sehr lange dauern, und ich bin nicht sicher, ob meine Spinnfertigkeiten für eine einfädige Kette aus doch recht feinem Garn ausreichen. Da man die Kette bei Satin nicht sieht, dürfte es auch eine gezwirnte Kette aus gekauftem Garn tun, selbst wenn das Streichgarn wäre. Puh.

Die Überlegungen zur Wolle und zum Spinnen kommen in einem extra Artikel; das würde zuviel auf einmal.

Was fehlt dann noch?

Die Webbreite. Bei Damast und Brokat sagen die Quellen (weiß nicht mehr, welche), die seien eher schmal gewesen, wie seidene Damaste und Brokate, also bis 60 cm. Werden wohl  die gleichen schmalen Webstühle gewesen sein. Über Calimanco habe ich noch nichts gefunden, aber ich vermute stark, daß diese breiter waren. Erstens, weil Atlas mit einem normalen Schaftwebstuhl machbar ist, und zweitens, weil ich noch keine Abbildung einer Frau mit quergestreiftem Kleid oder Rock gesehen habe, und das scheinen, wenn man die Proceedings of the Old Bailey querliest, die Hauptanwendungsgebiete für Calimanco zu sein. Ergo muß die Stoffbreite mindestens einer damals üblichen Rocklänge entsprechen, 85-100 cm. [Tatsächlich handelt es sich offenbar um Kettköper mit einer Webbreite von ca. 50 cm.]

Die Farben. Für Gelb gibt es genug Möglichkeiten: Färberkamille, Goldrute und natürlich Reseda. Blau ist eh klar: Indigo. Das warme Rot muß Krapp sein, das kalte Cochenille – ich kenne meine Pappenheimer. Olivgrün ist Gelb, mit Eisen weiterentwickelt. Richtiges Grün eine Doppelfärbung Gelb/Blau. Das Braun sieht nach Walnuß aus (Eichenrinde wäre rötlicher, naturbraun wäre meliert und obendrein waren Langwollschafe anscheinend alle weiß), für die wenigen, schmalen, ganz dunklen Streifen mit Eisen vertieft.

Ich glaube, jetzt habe ich alles, um auszurechnen, wieviel Garn ich brauche. Ich bin dann mal spinnen…

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